Wir konzentrieren uns im Alltag oft stärker auf das Negative – auch im Coaching-Prozess. Damit wir Veränderungen anstossen können, ist es in einem körperfokussierten Coaching-Ansatz jedoch ebenso wichtig, positive Gefühle wie Freude bewusst zu erleben.
In diesem Beitrag:
- Zuerst kommt immer das Negative
- Bidirektionale Verbindung
- Glimmer: Kleine Momente der Freude
- Freude und das Nervensystem: Plötzlich wird uns warm
- Körperfokussiertes Coaching nutzt Freude
Eine aktuelle britische Studie gibt uns Hinweise darauf, dass das bewusste Erkennen und Erleben von Freude einen grossen Einfluss auf unser Wohlbefinden hat – gerade in Momenten, die herausfordernd sind.
Es gibt Momente im Leben, in den wir zum Beispiel eigentlich extrem traurig sind. Und plötzlich, auch im Angesicht riesiger Trauer, überkommt uns ein Lachanfall und gemeinsam mit den Menschen um uns herum, geniessen wir diesen kurzen Moment der Wärme und Verbundenheit.
Die Studie beschreibt Freude als ein oft spontanes Erleben, begleitet von intensiven körperlichen Empfindungen wie Wärme oder Leichtigkeit. Sie kann auch parallel zu schwierigen Gefühlen auftreten.
Die Teilnehmenden der Studie berichten, dass das bewusste Erkennen solcher Momente ihr Wohlbefinden und ihre Resilienz stärken. Das macht aus einer polyvagal-informierten Perspektive sehr viel Sinn. Deshalb nutzen wir Momente der Freude in der Coaching-Arbeit und trainieren, sie besser zu erkennen.
Zuerst kommt immer das Negative
Der bekannte «Negative Bias» ist evolutionsbiologisch sinnvoll: Im Zweifel ist es sicherer, eine vermeintliche Schlange zu sehen als nur einen Ast. Es ist zutiefst menschlich, sich stärker auf Negatives zu konzentrieren.
Auch im Coaching-Prozess beginnen wir meist mit den Dingen, die uns belasten:
- Überfordernde Gefühle
- Anhaltende Konflikte
- Dauerstress
- Blockaden
- Ängste
Das ist natürlich und oft notwendig. Gleichzeitig ist es wertvoll, immer wieder bewusst in angenehme Empfindungen zu wechseln. Damit ist nicht «positives Denken» gemeint, sondern das Erkennen von Momenten, die körperlich und gedanklich angenehm waren. Diese Momente dienen uns nicht nur als Anker, wenn wir mit schwierigen Emotionen arbeiten.
Sie unterstützen uns auch dabei, aus festhängenden Überlebensreflexen des autonomen Nervensystems zurück in einen regulierten Zustand zu finden.
Bidirektionale Verbindung
Im körperfokussierten Coaching betrachten wir die bidirektionale Verbindung zwischen Gehirn und Körper:
Welche Gefühle lösen welche Gedanken aus – und umgekehrt.
Der Vagusnerv spielt hier eine wichtige Rolle: Er besteht zu rund 80 Prozent aus afferenten (Körper-zu-Gehirn) und zu 20 Prozent aus efferenten (Gehirn-zu-Körper) Fasern. Das bedeutet: Es fliessen deutlich mehr Informationen vom Körper ins Gehirn als umgekehrt.
Wiederum ist der Vagusnerv daran beteiligt, wie wir auf Dinge reagieren und mit Stress umgehen.
Wir können mit angenehmen körperlichen Sensationen und Übungen, die unserem Körper vermitteln, dass alles in Ordnung ist, also unsere Gedanken bewusst beeinflussen. Wir nutzen dabei insbesondere die regulierende Wirkung des vorderen, ventralen Vagusnervs, der dafür Zuständig ist, dass wir auch in herausfordernden Situationen spüren, dass wir das schaffen können.
Glimmer: Kleine Momente der Freude
Die Therapeutin Deb Dana prägte den Begriff «Glimmer» – das Gegenstück zu Triggern. Trigger aktivieren Stressreaktionen, Glimmer dagegen sind kleine, positive Erfahrungen, die dem Nervensystem helfen, in einen Zustand von Ruhe, Sicherheit oder Freude zu gelangen.
Glimmer sind auch Momente der Freude. Sie signalisieren unserem Nervensystem, dass es sich entspannen kann. Es gibt Hinweise darauf, dass sie einen positiven Einfluss auf die Tätigkeit des Vagusnervs haben und so unsere Gelassenheit fördern.
Freude und das Nervensystem: Plötzlich wird uns warm
Die britische Studie zeigt, dass Freude oft überraschend kommt, kein Dauerzustand ist und mit starkem körperlichem Wohlgefühl einhergeht. Diese Beschreibung passt zu Zuständen, die mit einer erhöhten Aktivität des ventralen Vagusnervs in Verbindung gebracht werden:
Wir fühlen uns warm, entspannt, verbunden, präsent – und sehen Chancen, wo zuvor nur Hindernisse waren.
Körperfokussiertes Coaching nutzt Freude
In meiner Arbeit begleite ich Menschen dabei, Ziele zu erreichen, Veränderungen umzusetzen oder anders mit belastenden Erlebnissen umgehen zu können. Das bewusste Erkennen und Schaffen von Momenten der Freude ist dabei eine wichtige Praxis, um:
- Den Zugriff auf das «Denkhirn» zu verbessern (auch unter starker Emotion oder nach Traumata)
- Die Verbindung zwischen Gehirn und Körper zu stärken
- Stress zu regulieren
- Mit negativen Emotionen und grossen Herausforderungen umzugehen
- Neugier und Chancen zu eröffnen
- Zustände zu fördern, in denen der Vagusnerv regulierend wirken kann
- Resilienz zu stärken
Im Training deines Neurogespür™ lernst du, die reflexartigen Reaktionen deines autonomen Nervensystems bewusst wahrzunehmen und zu nutzen. Freude – oft spontan und unerwartet – kann dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Manche Teilnehmende der Studie beschrieben Freude als «Pausenknopf» vom Grübeln und als Türöffner zu einem tiefen Gefühl von Präsenz.
Das aktive Erkennen, Wahrnehmen und Schaffen von Momenten der Freude ist ein wichtiger Bestandteil von körperfokussiertem Coaching. Wir nutzen Freude als Anker, als Brücke und als Türöffner zu neuen Chancen, wo wir aktuell vielleicht nur riesige Hindernisse sehen.
Hinweis:
Die Ergebnisse der Studie und einige neurobiologische Prozesse werden vereinfacht dargestellt, um den praktischen Nutzen für meine Coaching-Arbeit sichtbar zu machen.